Anders als bei körperlichen Leiden gilt die psychologische Erste Hilfe nicht nur akuten Notfällen. Sie dient auch dazu, Betroffene über den gesamten Verlauf einer Erkrankung zu begleiten. Persönlicher Beistand ist gerade dann wichtig, wenn sich ein Leiden verfestigt und auch dann noch, wenn jemand schon eine Psychotherapie begonnen hat. Ohnehin dauert es bei psychischen Krankheiten oft sehr lange, bis Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Häufig vergeht viel Zeit, bis sie ihre Beschwerden überhaupt als psychische Störung begreifen, und dann müssen sie erst noch herausfinden, wo sie Hilfe bekommen. Hinzu kommt die Wartezeit: Im Schnitt 20 Wochen warten Menschen in Deutschland auf einen Therapieplatz, wie eine Umfrage der Bundespsychotherapeutenkammer ergab. Etwa 80 Prozent der Betroffenen bleiben hierzulande am Ende ganz ohne professionelle Behandlung
Deshalb brauchen auch Angehörige und Freunde oft einen langen Atem. Doch außerhalb von akuten Krisen kann es für sie schwierig sein, überhaupt zu erkennen, ob jemand ein psychisches Problem hat. Die Symptome sind so variabel wie die Menschen und ihre Lebenssituationen. Aufmerksam zu sein und der eigenen Intuition zu trauen, ist die Erste Hilfe, die man zeigen und anbieten kann. Angenommen, ein Freund sagt immer wieder Treffen ab, meidet große Menschenansammlungen oder ist über Wochen reizbar. Wer meint, dass sich eine Person verändert, sollte das ernst nehmen.
Letztlich geht es immer darum, das Gespräch zu suchen – zu einer ruhigen Stunde, an einem angenehmen, vertrauten Ort. Und ohne vorgefertigte Meinung. Niemand sollte seiner Mutter, dem Freund oder einer Kollegin eine Verhaltensveränderung vorwerfen oder gar eine psychiatrische Diagnose aufdrücken. Es geht darum, nachzufragen und konkret anzusprechen, welche Verhaltensweisen man beobachtet hat, die einem Sorge bereiten: Mir ist aufgefallen, dass du unsere letzten vier Treffen abgesagt hast. Ich mache mir Sorgen. Wie geht es dir im Moment? Damit ist die Tür geöffnet.
Manch Betroffener möchte seine Probleme vielleicht gar nicht anerkennen, geschweige denn darüber sprechen. Das heißt nicht, dass es falsch war, diese Person anzusprechen. Aber diese Grenzen muss man respektieren. Auf keinen Fall sollte man enttäuscht oder verärgert reagieren. Erste Hilfe ist bei psychischen Problemen immer nur ein Angebot. Man darf und sollte es zwar wiederholen, aber letztlich muss das Gegenüber bereit sein, die Hilfe anzunehmen.